In einer Welt, in der beruflicher Stress und psychische Belastungen zunehmen, sind Prävention und die Stärkung der Resilienz die Schlüssel zur seelischen Gesundheit am Arbeitsplatz. In diesem Interview erläutert Dr. med. Senta Christina Perschmann, Inhaberin von COATRAIN® Braunschweig und Expertin für Mental Health und Burnout-Prävention, warum diese beiden Faktoren unverzichtbar sind und wie sie dazu beitragen, die richtige Balance zu finden.

Die seelische Gesundheit am Arbeitsplatz gewinnt angesichts drastisch steigender Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen immer mehr an Bedeutung. Unternehmen scheinen jedoch die Dringlichkeit dieses Themas oft zu unterschätzen. Warum ist die seelische Gesundheit so entscheidend, und wie können Sie als Coaching-Unternehmen und Experten für Mental Health dazu beitragen?

Dr. med Senta Christina Perschmann: Die seelische Gesundheit beeinflusst nicht nur unsere Lebensqualität, sondern hat auch direkte Auswirkungen auf unsere Leistungsfähigkeit und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. In unserer Arbeit konzentrieren wir uns auf drei zentrale Bereiche: Prävention, Frühintervention und Reaktivierung. Dabei zeigt sich, dass präventive Maßnahmen am wirksamsten und nachhaltigsten sind, da sie allen Mitarbeitenden zugutekommen. Bei bereits bestehenden Problemen wird die Situation komplexer – die Rückfallquote beim manifesten Burnout liegt statistisch gesehen immerhin bei 50%.

Burnout-Prävention: Effektive Maßnahmen zur seelischen Gesundheit

Burnout scheint oft auf übermäßigen Stress und Arbeitsbelastung zurückzuführen zu sein. Doch als externer Dienstleister können Sie diese Faktoren nicht direkt beeinflussen, oder?

Dr. med Senta Christina Perschmann: Das ist korrekt. Die Arbeitsbelastung und der Stress können sowohl durch die berufliche Tätigkeit als auch durch persönliche Umstände bedingt sein. Dennoch betonen wir immer, dass die äußeren Faktoren an sich meist nicht das Hauptproblem darstellen. Entscheidend ist, wie Menschen mit diesen Belastungen umgehen, wie sie sie bewerten und ob es eine ausgewogene Balance zwischen den Anforderungen und den individuellen Bewältigungsmechanismen gibt. Personen mit gut entwickelten Ressourcen haben ein geringeres Burnout-Risiko, selbst wenn sie hohem Arbeitsdruck ausgesetzt sind.

Ressourcen aktivieren: Coaching und Training im Fokus

Welche konkreten Ressourcen sind das, und wie können diese durch Coaching und Training aktiviert werden?

Dr. med Senta Christina Perschmann: Es gibt verschiedene Wege, diese Ressourcen zu aktivieren. Obwohl Entspannungstechniken und Rückenschulungen hilfreich sein können, setzen sie erst an, wenn der Stress bereits Probleme verursacht. Unser Ansatz besteht darin, zunächst allgemeine Gesundheitsthemen stärker ins Bewusstsein zu rufen und die Achtsamkeit der Mitarbeitenden für sich selbst und für andere zu schärfen. Wir sensibilisieren Führungskräfte und schulen sie auch für Krisengespräche. Ressourcen aktivieren bedeutet auch, das Stressmanagement zu verbessern und die inneren Stressfaktoren zu identifizieren. Wir fördern außerdem die Entwicklung von Resilienzfaktoren, die dazu beitragen, stressige Phasen unbeschadet zu überstehen.

Psychologische Gefährdungsbeurteilung: Frühzeitiges Erkennen von Handlungsbedarf

Wie konkret gestaltet sich Ihr Präventionskonzept?

Dr. med Senta Christina Perschmann: Unser Ansatz kombiniert Coaching und Training. Das Training in Kleingruppen zielt auf den Aufbau von Kompetenzen und Ressourcen durch gezielte Themeneinführungen, Perspektivwechsel und Praxisbeispiele ab. Hierbei können Fähigkeiten wie wertschätzende Führung, Konfliktkompetenz und Stressbewältigung gestärkt werden. Das Coaching setzt darauf aufbauend bei individuellen Anliegen des Einzelnen an, baut Hürden ab und sichert den Praxistransfer.

Die Rolle der Führungskräfte in der Burnout-Prävention

Wie erkennen Sie, wo Handlungsbedarf besteht und wo gezielte Maßnahmen besonders effektiv sein können?

Dr. med Senta Christina Perschmann: Wir setzen Fragebögen ein, um den Handlungsbedarf zu ermitteln. Die psychologische Gefährdungsbeurteilung liefert oft bereits entscheidende Hinweise. Stress ist ein Thema, das die Führungskräfte in Unternehmen maßgeblich betrifft. Indem sie ihren eigenen Umgang mit Stress verbessern und ein positives Bild eines gesundheitsbewussten Arbeitsumfelds vorleben, können sie einen erheblichen Beitrag leisten.

Nachhaltige Gesundheitsförderung in Unternehmen

Welche präventiven Maßnahmen können Führungskräfte ergreifen, um Burnout vorzubeugen?

Dr. med Senta Christina Perschmann: Hier möchte ich drei Punkte herausgreifen. Erstens: Die Innere Kündigung geht einem Burnout oft voraus. Daher sollte man Anzeichen von Rückzug und Entfremdung als Hinweis ernst nehmen und nicht nur als Arbeitsverweigerung quittieren. Das Mitarbeiterjahresgespräch bietet eine wertvolle, oft unterschätzte Gelegenheit, nicht nur Arbeitsergebnisse, sondern auch Wünsche, Bedürfnisse, Konflikte und Balancen ganz konkret zu resümieren und dann beiderseitig den inneren Vertrag gezielt zu erneuern. Zweitens: Zeitmangel wirkt sich auch in der Führung negativ aus. Das hat man nicht immer in der Hand, aber eine unterstützende Grundhaltung mit verlässlichen Sprechzeiten und regelmäßigen, gut geführten Feedbackgesprächen kann schon eine solide Basis bilden. Drittens: Empfindungen wie Hilflosigkeit, Einsamkeit, Machtlosigkeit, Angst und Unzufriedenheit fördern nicht nur die persönliche Frustration, sondern bringen auf Dauer auch ein erhöhtes Gesundheitsrisiko mit. Dagegen kann sich eine durch Prinzipien wie Achtsamkeit, Fairness und Transparenz geleitete Führung positiv auswirken.

Ein Gesamtkonzept für gesunde und engagierte Arbeitskräfte

Klingt so, als ob allein Training und Coaching nicht ausreichen würden, oder?

Dr. med Senta Christina Perschmann: Genau, das denken wir auch. Einzelmaßnahmen in einem toxischen Arbeitsumfeld können zynisch wirken und bringen oft keine nachhaltige Veränderung. Daher empfehlen wir, diese Maßnahmen in ein Gesamtkonzept für nachhaltige Gesundheitsförderung und effektive Unternehmensführung einzubinden. Der Fehlzeitenreport der AOK von 2022 zeigt, dass Unternehmen, die sich für Corporate Social Responsibility (CSR) und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter einsetzen, positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Belegschaft und deren Einstellung zur Arbeit erfahren. So können gesunde, engagierte und leistungsfähige Mitarbeiter zum Erfolg des Unternehmens beitragen.

Herzlichen Dank für die wertvollen Einblicke, Frau Dr. Perschmann. Es wird deutlich, dass Prävention und Resilienz die unentbehrlichen Schlüssel zur seelischen Gesundheit am Arbeitsplatz sind. Ein gesundes Arbeitsumfeld bildet die Basis für das Wohlbefinden und Engagement der Mitarbeitenden und damit auch für den langfristigen Unternehmenserfolg.



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