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Grenzen setzen: Das beste Weihnachtsgeschenk für uns selbst
Weihnachten – die Zeit der Lichter, des Plätzchendufts und der gemütlichen Zusammenkünfte. Doch während wir uns auf diese besonderen Momente freuen, lauern oft auch Herausforderungen: der kritische Kommentar zur Baumgröße, die abwertende Bemerkung zu den selbstgebackenen Keksen oder die spitzen Worte über die Geschenkauswahl. Gerade in dieser festlichen Zeit werden unsere emotionalen Grenzen oft unfreiwillig getestet. Doch anstatt uns von solchen Momenten aus der Balance bringen zu lassen, können wir das Tool „Grenzen ziehen in Kränkungssituationen“ nutzen, um bewusst für uns selbst einzustehen.
Weihnachten als Testfeld für emotionale Klarheit
Stellen wir uns vor, wir sitzen am festlich gedeckten Tisch, die Kerzen flackern sanft, und der Duft von frisch gebackenem Rotkohl (aus dem Glas, aber das verraten wir nicht) erfüllt den Raum. Die Familie plaudert fröhlich, und plötzlich fällt der erste Kommentar: „Rotkohl aus dem Glas? Hätte ich jetzt nicht gedacht. Selbstgemacht schmeckt doch viel besser!“ Ein Stich – mitten ins Herz. Oder zumindest in die Kochseele. Wir könnten jetzt mit einer hitzigen Verteidigung reagieren oder uns in unser Schneckenhaus zurückziehen. Aber was wäre, wenn wir stattdessen gelassen und humorvoll agieren? Genau hier setzt das Tool an. Es hilft uns, die Situation klar zu analysieren. Warum trifft uns dieser Kommentar so? Liegt es wirklich am Rotkohl oder daran, dass wir unbewusst Anerkennung für unsere Mühen erwarten? Mit dieser Reflektion machen wir den ersten Schritt: Wir erkennen, dass der Kommentar mehr über die Person aussagt, die ihn gemacht hat, als über unsere Kochkünste. Statt also in die Rechtfertigung zu gehen, könnten wir souverän kontern: „Ja, stimmt – aber das Glas spart mir Zeit für die Zimtsterne.“
Warum Kränkungen uns so leicht treffen
Weihnachten ist nicht nur das Fest der Liebe, sondern auch das Fest der Erwartungen. Wir möchten, dass unsere Familie zufrieden ist, die Geschenke Freude bereiten und das Essen perfekt gelingt. Doch dann kommt Schwager Klaus, der das liebevoll ausgesuchte Buch über Achtsamkeit mit den Worten kommentiert: „Ja, nett, aber ich mag’s lieber actionreich.“ Oder Tante Erna, die unsere selbstgebackenen Zimtsterne kritisch beäugt und sagt: „Oma hat die immer so perfekt hinbekommen. Deine sind… interessant.“
Es sind oft nicht die großen Konflikte, sondern diese kleinen, unscheinbaren Bemerkungen, die uns aus der Bahn werfen. Warum? Weil sie unsere innersten Wünsche nach Wertschätzung und Anerkennung berühren. Und genau deshalb ist es so wichtig, bewusst Grenzen zu ziehen.
Das Tool „Grenzen ziehen“: Ein Schritt zurück, zwei Schritte nach vorne
Das Tool hilft uns, diese Situationen nicht nur zu überstehen, sondern aktiv zu gestalten. Es gliedert sich in drei Schritte:
Reflektion der Ist-Situation:
Wer hat uns verletzt, und warum? Im Fall der Zimtsterne könnte es daran liegen, dass wir uns besonders viel Mühe gegeben haben und uns ein Lob gewünscht hätten. Vielleicht treffen uns die Worte von Tante Erna auch deshalb, weil wir das Gefühl haben, mit Oma verglichen zu werden, deren Backkünste legendär waren.
Wunsch-Situation gestalten:
Wie möchten wir stattdessen reagieren? Vielleicht mit einer humorvollen Antwort wie: „Stimmt, Oma war unschlagbar. Aber ich sehe das als kreative Weiterentwicklung – Low-Expectation-Kekse!“ Oder wir entscheiden uns, den Kommentar einfach stehen zu lassen, ohne ihn emotional an uns heranzulassen.
Die Stuhl-Übung:
Diese Übung hilft, Abstand zu schaffen – emotional und symbolisch. Wir stellen uns vor, dass Tante Erna auf einem Stuhl gegenüber sitzt. Wir verschieben den Abstand der Stühle so lange, bis wir uns wohlfühlen, und sagen in Gedanken: „Erna, ich backe aus Freude. Deine Kommentare nehme ich zur Kenntnis, aber sie bestimmen nicht, wie ich mich fühle.“
Gelassenheit statt Eskalation
Das Tool ist besonders hilfreich, weil es uns Klarheit und Kontrolle zurückgibt. Nehmen wir das Beispiel von Schwager Klaus und seinem „actionreichen“ Kommentar zum Geschenk. Anstatt uns über seine Reaktion zu ärgern, könnten wir uns bewusst machen, dass seine Bemerkung nichts mit dem Wert unseres Geschenks zu tun hat. Vielleicht entgegnen wir augenzwinkernd: „Alles klar, nächstes Jahr gibt’s dann einen Gutschein für Fallschirmspringen – da bleibt keine Zeit für Achtsamkeit!“ Gleichzeitig visualisieren wir mit der Stuhl-Übung, wie weit wir Klaus emotional an uns heranlassen möchten. Sein Stuhl rückt vielleicht ein Stück weiter weg – und mit ihm unsere Erwartung, dass er unsere Mühen zu schätzen weiß. Oder denken wir an Onkel Herbert, der beim Festessen lässig fragt: „Bist du sicher, dass du noch ins Weihnachtsoutfit passt?“ Eine provokante Frage, die uns verunsichern könnte – oder auch nicht. Mit dem Tool erkennen wir, dass Herbert gern über andere urteilt, um sich selbst besser zu fühlen. Vielleicht lächeln wir nur milde und sagen: „Das Outfit ist dehnbar – perfekt für all die leckeren Kekse.“ Der Schlüssel liegt darin, die Kontrolle über unsere Reaktion zu behalten.
Warum Grenzen setzen so wichtig ist
Grenzen zu ziehen bedeutet nicht, sich von anderen zu distanzieren, sondern die Beziehung so zu gestalten, dass sie uns guttut. Es geht darum, bewusst zu entscheiden, wie nah wir andere emotional an uns heranlassen – und wann wir loslassen. Gerade in der Weihnachtszeit, wenn die Erwartungen hoch und die Emotionen intensiver sind, ist diese Fähigkeit besonders wichtig. Das Tool „Grenzen ziehen“ hilft uns, kleine Spitzen und größere Konflikte zu entschärfen. Es zeigt uns, dass wir nicht die Verantwortung für die Worte oder Handlungen anderer tragen. Was zählt, ist, wie wir damit umgehen.
Ein Weihnachtswunsch: Klarheit und Leichtigkeit
Weihnachten wird niemals perfekt sein – und das ist auch gut so. Die Zimtsterne werden nicht immer gleichmäßig, die Geschenke treffen nicht immer ins Schwarze, und der Rotkohl wird vielleicht nicht von allen gelobt. Doch mit einer Prise Humor und der Fähigkeit, bewusst Grenzen zu setzen, machen wir uns das größte Geschenk: mehr Gelassenheit und Freude in dieser besonderen Zeit.