Familienrunde

Mit den Corona-Lockerungen geht’s mehr und mehr ins Büro zurück. Nach den Wochen der „Einsamkeit“ heißt es für manchen nun, sich wieder ans Zusammensein mit anderen zu gewöhnen und das unter ganz besonderen Voraussetzungen. Was in puncto kollektiver Gruppendynamik in diesen Zeiten als Führungskraft zu beachten ist? Das verrät Dipl.-Psych. Johanna M. Steinke. Außerdem, als kleines Feiertags-Pfingst-Goodie: Wie sich die Gruppendynamik im familiären Kreise gestaltet.

Wenn wir an Corona denken, haben wir Bilder von Masken, Hygienevorschriften, Infektionszahlen, Pressekonferenzen der Bundesregierung, Kontaktverzicht, leeren Innenstädten, geschlossenen Geschäften, verzweifelten Menschen etc. im Kopf. Gleichzeitig wissen wir noch nicht so genau, wohin uns diese Krise genau führt. Das Solidarprinzip hat uns allen dabei geholfen, das Geschehen gut zu meistern. Besser als andere. Bei allen Härten und Nöten, die hier auf jeden Fall ihre Beachtung finden.

Und wie ist es uns gelungen, diese Krise zu meistern? Wir sind ganz gut durchgekommen, durch die Phasen der Gruppendynamik, auch wenn es hier und da Ausfälle und Merkwürdigkeiten gab. Im internationalen Vergleich schneiden wir gut ab. Doch um was für Phasen handelt es sich da eigentlich? Und wie zeigen sich diese Phasen ganz konkret zu Pfingsten, wenn es um die Feiertagsgestaltung geht?

 

Die fünf Phasen der kollektiven Gruppendynamik:

Phase 1: Forming

Ankommen – Aufbauen – sich orientieren …

 Das sagt die Psychologin zu Phase 1 der Gruppendynamik:

Zunächst haben wir alle miteinander kommuniziert. Wer weiß was? Was wissen wir noch nicht über den Virus? Jeden Abend wurde ein Magazin zu den neuesten Entwicklungen gesehen oder auch gehört. Die bange Frage war, wie kriegen wir das hin? Wie sorgen wir dafür, dass es so wenig Ansteckungen wie möglich gibt. Woher nehmen wir das Geld, um die mit der Krise verbundenen Einbußen zu kompensieren. Freunde und Familie wurde interviewt, wie man das mit Videotelefonie hinbekommt, was Zoom und Skype sind, was da besser funktioniert und wo die ganzen Daten bleiben. Kann man noch zum Hausarzt? Sind Menschen jetzt gefährlich? Wie laufen denn eigentlich die Ansteckungswege? IT wird schnell noch geordert, Handy neu, Masken gekauft, Home-Office eingerichtet, Hamsterkäufe. Quarantäne. Die Krise ist da. Wir sind angekommen darin.

So zeigt sich die Forming-Phase bei der Pfingstplanung:

Man soll die Feste bekanntlich feiern, wie sie fallen, meint meine Schwiegermutter immer. Aber jetzt? Zu Corona-Zeiten? Ist das wirklich so eine gute Idee, wenn wir alles so machen wie immer an Feiertagen? Will heißen: Die Schwiegereltern einladen, beieinandersitzen, erzählen, gemeinsam essen. Das ist zwar seit kurzem offiziell wieder erlaubt, aber sollen wir das auch wirklich machen und nicht zu vergessen: will ich das überhaupt? Irgendwie war Corona die letzten Wochen zugegeben immer eine ganz gute „Sorry, leider geht es momentan nicht mit dem gegenseitigen Besuchen-Ausrede“, wenn man einfach absolute Unlust auf un- und angekündigte Familientreffen verspürte …Wie nun soll unser Pfingstfest also ablaufen? Gute Frage, nächste Frage, nämlich die, wie das dann alles „bundeslandrechtmäßig“ aber auch (und vor allen Dingen) schwiegermutterkonform ablaufen kann. Drinnen? Nein, lieber draußen, aber was, wenn das Wetter einem einen Strich durch die Rechnung macht? Mit Küsschen links, Küsschen rechts, einer Umarmung, wie es Schwiegermutter immer macht (und erwartet) oder, wie es die Hygieneverordnung nun einmal momentan vorschreibt, mit 1,5-Meter Abstand? Aber wie soll man das der Schwiegermutter erklären? Hält sie sich doch für so etwas von fit, dass jegliche Viren vor ihr Reißaus nehmen (behauptet sie). Ich sehe es schon vor mir, wie sie sich auf uns stürzt, die Abstandsregel ignoriert und einen riesigen Aufstand machen würde, sollte einer von uns es nur wagen, sich dagegen zu wehren. Ich erinnere mich noch an die von ihr zerdepperte Vase, als ich wegen eines grippalen Infekts einen Kuss kategorisch ablehnte. Ich überlege also hin und her, was tun? Willkommen in der Storming-Phase!

Phase 2: Storming

Aneinandergeraten …

Das sagt die Psychologin zur zweiten Phase der kollektiven Gruppendynamik:

Die ersten echten Restriktionen. Keine Kita. Keine Schule. Keine Besuche von Kranken oder Alten. Trennung innerhalb der Familie. Geschäfte geschlossen, Gastronomie geschlossen, Hotels zu. Kurzarbeit wird angemeldet für 10 Millionen Beschäftigte. Teams arbeiten fast nur noch virtuell. Video-Konferenzen werden nun auch in Deutschland flächendeckend modern. Und schon sind einige genervt. Kurzarbeitergeld zu wenig. Zu wenig Masken. Zu wenig Tests. Zu wenig Kontakt. Zu wenig Transparenz in der Politik. Zu wenig Kommunikation in den Unternehmen. Dann restriktive zu-Hause-bleiben-Ansage. Shutdown. Auf dem Weg in die Frühjahrsfrische angehalten werden und nach Hause geschickt werden. Und Pressekonferenzen der Bundesregierung. Die Beschränkungen werden verlängert. Die Menschen reagieren verunsichert und verärgert. Sie sind genervt. Erste paranoide Phantasien gehen los. Im Netz wird es aggressiv. Die Gesellschaft überlegt das 1. Mal, ob es beim Solidaritätsprinzip bleiben soll oder ob die Alten und Kranken geopfert werden. Starker Tobak, lebt die soziale Marktwirtschaft doch vom Solidarprinzip. Und nun, wo es für alle Einschränkungen gibt, nimmt man zwar das Notgeld, aber die Restriktionen, das punktuelle kurze Aufgeben der eigenen Freiheit, löst zunehmend Ärger aus.

Die Storming-Phase angesichts der Pfingstfestplanung:

Angenommen ich rufe jetzt an, lade sie ein und sie sagt zu. Natürlich nicht mit einem einfachen „Ja gern, ich freue mich, danke für die Einladung“, sondern mit einem „Na, das wurde ja auch Zeit“ … Dann kann ich mir schon lebhaft vorstellen, wie ihr erster Blick auf meine Blumendeko fallen wird. Und der spräche Bände. Biegt sich nämlich die linke Augenbraue nur minimal schräg nach oben, wird sie garantiert etwas zu mäkeln haben. „Margariten zu Pfingsten? Wie einfallslos.“ Mir egal, ich hab die gern, schon seit Kindestagen. Auch mein Essen wird nicht unkommentiert bleiben. „Wie jetzt, kein Spargel mit Wiener Schnitzel und selbstgemachter Hollandaise?“ Das gehört doch traditionell zum Pfingstfest dazu.“ Nein, bei uns nicht, wir bevorzugen gerade Tapas und allerlei andere mediterrane kleine Snacks. Allerdings, bei einem werden wir uns einig sein, denn beim Dessert gibt es keine zwei Meinungen: Schwiegermutters Herrencreme. Doch, wenn sie die mitbringen soll, muss ich sie ja natürlich drum bitten. Was hilft’s, ich rufe sie an und steige ein in die Norming-Phase.

Phase 3: Norming

Von der Gärung zur Klärung …

Das sagt die Psychologin zur dritten Phase kollektiver Gruppendynamik:

Nun fangen die Ersten an, zu hinterfragen, ob der Shutdown verhältnismäßig ist. Ob wir nicht längst wieder zur Normalität zurückkehren können. Ob es denn gut für uns ist, wenn der Glauben nicht wie immer ausgeübt werden kann. Man könnte doch in der Kirche leise singen. Die ersten Demos finden statt, mit Abstand untereinander. Auch das RKI fängt an, etwas zufriedener zu wirken. Die Zeichen stehen auf Lockerung. Dann preschen die Länderchefs vor. Der eine macht dies, der andere macht das – und alle etwas anderes. Klar, die Situationen sind lokal ja auch vollkommen unterschiedlich.

Und dann löst es sich. Es gibt Klarheit: Die Regie hat nun das jeweilige Land, sofern die Infektionsrate im Griff ist. Sonst gibt es erneut einen Shutdown. Die Regeln sind gefunden.

 

So läuft die Norming-Phase inmittten der Pfingstfestplanung ab:

Die Nummer gewählt, muss ich nicht lang warten. „Das wurde ja auch Zeit, meine Liebe“, oh man, hatte ich es nicht gesagt? Okay ganz ruhig bleiben und immer dran denken, die Regeln stellt der Gastgeber auf, nicht der Gast. Und der Gast, das ist meine Schwiegermutter. So. Punkt. Schluss. „Ja Schwiegermutter, wir mussten erst einiges klären. Du weißt ja, Corona. Dieses Jahr machen wir es so: Es wird ein paar leckere herzhafte Kleinigkeiten geben, der Tisch wird minimal dekoriert und wir werden draußen feiern. Ach ja und wegen des Virus. Du weißt ja, Abstand ist geboten, da halten wir uns alle dran und hoffen sehr, dass wir uns bald wieder ganz innig in die Arme nehmen dürfen.“ Oh je, hab ich das gerade wirklich gesagt? Ich warte unruhig auf Schwiegermutters Antwort (gut, dass sie nur am Telefon ist …) und bin überrascht über ihre Reaktion: Verstehe, Corona, da ist eben einfach alles anders. Die Herrencreme bringe ich selbstverständlich mit. Das Performing beginnt.

Phase 4: Performing

Gemeinsam etwas zustande bringen – produktiv sein …

Das sagt die Psychologin zur vierten Phase:

Und dann gibt es klare Vorgaben. Gastro bleibt zu bis Mitte Mai. Hotels bis Ende Mai. Schulen öffnen zum Teil. Lerngruppen mit max. 15 Personen. Geschäfte öffnen. Abstand muss eingehalten werden. Schutzkonzept wird entwickelt. Fußböden werden abgeklebt zur Abstandsregelung. Spender für Desinfektion angeschafft. Alternativen für den Kaffee ausgedacht. Alle legen an irgendeiner Stelle los. Produktivität zeigt sich. Es wird gemeinsam etwas zustande gebracht.

Performing in Sachen Pfingsten in der Familie:

Es wird also gegessen, was auf den Tisch kommt. Schwiegermutter hätte es zwar anders als ich gemacht und wird sich sicherlich die eine oder andere Spitze à là, „Ich hätte noch eine Prise mehr Salz dran gemacht“ oder „die Tischdecke letztes Jahr fand ich besser“. Aber: Balanciert man nicht immer auf einem schmalen Grad zwischen Konflikte erkennen, Regeln einführen und willkommen heißen? Ich merke: Die Entscheidung, Schwiegermutter einzuladen, ist richtig, wenn es auch Reibungen geben kann und wird …

Phase 5: Abschluss und Abschied

Sinnieren …

Die 5. Phase der kollektiven Gruppendynamik, das sagt die Psychologin:

Normalerweise wäre jetzt diese Phase dran. Das Verabschieden der Krise. Hinterfragen der Ergebnisse. Was beim nächsten Mal besser und anders gemacht werden sollte. Und so weiter und so fort.

Nur: Wir sind noch mittendrin und so können wir davon ausgehen, dass wir wieder in einer Phase 1 ankommen werden. Wo wir in den neuen Gegebenheiten ankommen. Das neue Arbeiten und Leben aufbauen. Sich orientieren, was jetzt angesagt ist, was geht und was nicht geht. Und schon beginnt der Kreislauf von vorn.

Ein gutes Ende finden zum Pfingstfest:

Ende gut, alles gut! Hört sich platt an, kann aber gelingen. Ich habe das Pfingstfest nämlich dann tatsächlich als sehr schöne familiäre Feier in kleinem Kreis aus uns und Schwiegermama empfunden. Am Essen gab es nichts zu meckern, außer, genau, der zu wenigen Menge an Salz (ich will ja nichts sagen, außer, dass salzarm gesund ist) und der „falschen“ Tischdecke. Aber dafür war die Donauwelle wie immer perfekt und hat zu guter Letzt allen so gut geschmeckt und den Tag auch geschmacklich abgerundet. Was man vielleicht nächstes Mal besser machen könnte? Noch mehr Verständnis füreinander zeigen und kleine Gemeinheiten überhören (macht Schwiegermama ja auch).

Wem das bekannt vorkommt aus der eigenen Arbeit in oder mit Teams, kann von der Corona-Krise lernen, wie Gruppendynamik strukturiert ist, welche Phasen durchlaufen werden und worauf geachtet werden sollte. Was die jeweilige Führungskraft tun kann:

 

Aufgaben der Führungskraft

Phase 1: Eingangsinformationen an alle geben;  Regeln der Zusammenarbeit vorschlagen und einführen; ermuntern ohne zu drängen; Kontakt anbieten, ohne zu übereilen; konfrontieren ohne zu (ver)urteilen; Orientierung geben, in Führung gehen.

Phase 2: Die Führungskraft bekommt die Schuld, wenn es nur langsam vorangeht; die Autorität der FK wird angezweifelt (Der Mensch vom RKI ist doch nur Tierarzt…); die Führungskraft wird getestet, was sie kann, wie sie sich durchsetzt; die Führungskraft balanciert zwischen Führung/Orientierung und Stärkung der Selbststeuerungsfähigkeit der Gruppe (Das Führen in die lokalen Hände geben …)

Phase 3: Regeln ausdrücklich benennen; Diagnose der Probleme, die Deutungshoheit wahren; Sachthemen einführen und erläutern; Einigen auf Vorgehen; Erwartungshaltungen durch klare Führung prägen; die Entstehung von Regeln prägen oder moderieren

Phase 4: Die Führungskraft kann zurückhaltend intervenieren; Planungs- und Organisationshilfen sowie die Moderation von Entscheidungsprozessen liefern.

Phase 5: Verlauf des Prozesses und Ergebnis wird zusammengefasst und visualisiert; Abschließen oder benennen unerledigter oder offener Themen, Anknüpfungspunkte, Aufgaben fürs nächste Mal festhalten; die Zeit strukturieren; Auseinanderlaufen vermeiden, deutliche und klare Beendigung des Prozesses.

Und natürlich stellen sich die meisten Führungskräfte die Frage, ob sie auch alles berücksichtigt haben und sie sind Projektionen ausgesetzt, was alles doof ist und besser gemacht werden könnte. Und und und…Manchmal beschleicht einen ja der gaaaanz leise Zweifel und das könnte der Moment sein, wo man sich für die eigene Krisenbewältigung im Unternehmen Support organisiert …

Wer gemeinsam mehr erreichen möchte, findet bei COATRAIN® tolle Coachings zum Thema:



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